Zur Diskussion

Die Revolution findet nicht auf Berliner Straßenschildern statt

Jürgen Karwelat, geboren 1951 in Westfalen, ehemaliger Verwaltungsjurist in verschiedenen Bundesministerien, arbeitet seit vielen Jahren in seiner Freizeit in verschiedenen Projekten der Berliner Geschichtswerkstatt. Schwerpunkt sind die Berliner Straßennamen und die seit 1984 durchgeführten „Historischen Stadtrundfahrten mit dem Schiff“.

Jürgen Karwelat 

„Stadtpläne sind aufgeschlagene Geschichtsbücher“ sagte einmal der Berliner Schriftsteller und Feuilletonist Heinz Knobloch (1926–2003). Geht es hingegen nach dem Historiker Rainer Pöppinghege, dann sind Straßennamen keinesfalls ein Spiegel der Geschichte, sondern allerhöchstens das „Abbild dessen, wie es hätte gewesen sein sollen“ (Pöppinghege 2007: 13). Dem Autor ist zwar zuzustimmen, dass natürlich entscheidend ist, wer überhaupt das Recht hatte, Vorschläge für Straßennamen zu machen und diese auch umzusetzen. Trotzdem können Straßenschilder viel über die Geschichte einer Stadt erzählen: die Vorstellung der Herrschenden ist an ihnen ablesbar und auch, welche Vorbilder und Ideale eine Gesellschaft haben soll. Mit dieser Grundüberlegung kommt man in Berlin zu dem Ergebnis, dass die Stadt eine königs- und kaisertreue Weltstadt mit bürgerlich-konservativen und -liberalen Einsprengseln ist, in der mitunter der Geist des Widerstands aufblitzt. Dieser hat in den letzten Jahrzehnten zunehmend ein weibliches Gesicht.

Berlin wuchs von 1850 bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs von einer Provinzstadt zu einer Weltstadt an. Die neuen Straßen und Stadtteile mussten mit neuen Straßennamen versorgt werden. Doch über Deutschland herrschte eine Monarchie, die über den Berliner Polizeipräsidenten ihre Weltsicht auf die Straßenschilder gebracht hatte. Wie sollte es in dieser Zeit zu einer Erinnerung an die Revolution von 1848 kommen? Daran war erst mit dem Ende der Monarchie, also nach der Revolution am 9. November 1918 zu denken. In der Weimarer Republik wurden allerdings nur wenige Straßenbenennungen zur Aufnahme der demokratischen Tradition vorgenommen. Es reichte gerade einmal zur Umbenennung des Königsplatzes vor dem Reichstagsgebäude in den „Platz der Republik“ im Jahr 1926. Erst nach 1945 konnte in Berlin auch auf Straßenschildern an die Revolution von 1848 erinnert werden.

Dennoch sollten weitere 50 Jahre vergehen, bis kurz vor der Jahrtausendwende drei Umbenennungen beschlossen wurden, die sich auf die 1848er Revolution bezogen:

  • die Umbenennung des Platzes vor dem Brandenburger Tor in den „Platz des 18. März“

  • die Benennung des Platzes vor dem Gorki-Theater in den „Platz der Märzrevolution“

  • die Benennung des Weges zum Friedhof der Märzgefallenen in Friedrichshain in den „Ernst-Zinna-Weg“. 

PLATZ DES 18. MÄRZ 

Der Platz erhielt am 15. Juni 2000 seinen neuen Namen. Vorausgegangen war der Umbenennung ein mehrjähriges Engagement der Bürgerinitiative „Aktion 18. März“, die 1978 unter der Schirmherrschaft des ehemaligen Regierenden Bürgermeisters von Berlin-West, Heinrich Albertz, und der Schriftstellerin Ingeborg Drewitz gegründet worden war. Ihr Ziel war es, den 18. März in Erinnerung an die Märzrevolution von 1848 in beiden deutschen Staaten zum gemeinsamen Feiertag zu erklären. 

Platzbenennung „Platz des 18. März 1848“, 1998. Quelle: Archiv der Aktion 18. März. 

Ab Mitte der 1990er Jahre forderte die Initiative die Umbenennung des „Platz vor dem Brandenburger Tor“, den die Nationalsozialisten zwischenzeitlich in „Hindenburgplatz“ umbenannt hatten. Doch trotz der einstimmigen Zustimmung der Bezirksverordnetenversammlung Mitte wurde die Umsetzung vom damaligen Bausenator Jürgen Klemann (CDU) untersagt, der ihr das Verfahren entzog. Dessen ungeachtet kam es am 18. März 1998 zu einer Platzbenennung, als die beiden Bürgermeister Jörn Jensen (Bündnis 90/Die Grünen, Bezirk Tiergarten) und Joachim Zeller (CDU, Bezirk Mitte) die neuen Schilder gemeinsam anbrachten – die schon bald wieder von der Polizei entfernt wurden. Schließlich wurde der Kompromissvorschlag des damaligen Bundestagsvizepräsidenten Wolfgang Thierse angenommen. Der Platz wurde im Juni 2000 in „Platz des 18. März“ umbenannt. So wurde nicht nur an die Märzrevolution, sondern auch an die ersten freien Wahlen in der DDR am 18. März 1990 erinnert. 

PLATZ DER MÄRZREVOLUTION 

Um die „Aktion 18. März“ von ihrer Forderung vom Brandenburger Tor abzubringen, schlug 1997 Bausenator Klemann als Alternative vor, den seit 1952 stillgelegten Straßenbahntunnel hinter der Neuen Wache an der Straße „Unter den Linden“ mit Beton zu deckeln und gemeinsam mit dem Vorplatz des Maxim-Gorki-Theaters zu einem Platz zu erklären. Dieser Platz sollte am 18. März 1998 offiziell eingeweiht werden. Da zu diesem Zeitpunkt die Bauarbeiten aber noch nicht beendet waren, enthüllte Bürgermeisterin Christine Bergmann (SPD) an diesem Tag zwar kein Schild für den Platz, aber eine Gedenktafel an der Eingangstreppe des Theaters. Diese erinnert daran, dass in diesem Gebäude ab Mai 1848 die durch allgemeine Wahlen gebildete Preußische Nationalversammlung tagte. Die zur Benennung zum „Platz der Märzrevolution“ aufwändig hergestellten Schilder wurden hingegen niemals aufgestellt.

Denkmal von Heinrich Heine auf dem Platz der Märzrevolution, 2023. Foto: Jürgen Karwelat. 

Der Platz ist zwar in diversen offiziellen Dokumenten erwähnt und auch auf digitalen und analogen Stadtplänen zu finden. Trotzdem ist sich das Bezirksamt Mitte bis heute nicht sicher, ob der Platz existiert. Es schiebt eine Entscheidung über einen Anfang des Jahres 2024 eingebrachten Antrag in die Bezirksverordnetenversammlung (BVV), endlich Schilder aufzustellen, hinaus. Der Platz sei seinerzeit nicht zu Ende gestaltet worden. Am 18. März 2024, 25 Jahre nach der Benennung des Platzes, bat die Berliner Geschichtswerkstatt den freiheitlichen Schriftsteller Heinrich Heine um aktive Hilfe: An das an ihn erinnernde Denkmal auf dem Platz brachte sie ein Schild an, auf dem zu lesen stand: „Ich sitze hier auf dem Platz der Märzrevolution. Aber wo sind die Schilder?“. Das Schild wurde innerhalb von 24 Stunden entfernt. 

ERNST-ZINNA-WEG 

Als weitere Erinnerung an die Märzrevolution ist die Benennung des Ernst-Zinna- Wegs aufzuführen. Der Weg befindet sich in unmittelbarer Nähe des Friedhofs der Märzgefallenen, auf dem auch der 17-jährige Schlosserlehrling Ernst Zinna beerdigt ist. Ernst Zinna starb am 19. März 1848 an einer Schusswunde, die ihm als letztem Verteidiger der Barrikade Jägerstraße/Ecke Friedrichstraße zugefügt wurde. Die Initiative zur Benennung ging von Schülerinnen und Schülern des Erich-Fried-Gymnasiums aus, die ursprünglich eigentlich die Umbenennung der Strausberger Straße in Ernst-Zinna-Straße durchsetzen wollten. Die Bezirksverordnetenversammlung Friedrichshain schlug als Kompromiss die Benennung der bisher namenlosen Zufahrtsstraße zum Krankenhaus Friedrichshain und zum Friedhof der Märzgefallenen vor. Am 18. März 2000 wurden die neuen Straßenschilder enthüllt. 

REVOLUTIONÄRE AUF STRAßENSCHILDERN 

Damit ist die Liste der Straßennamen, die an die unmittelbaren Ereignisse Mitte März 1848 in Berlin erinnern, bereits erschöpft. Im weiteren Umfeld lassen sich einige Benennungen aufführen, die indirekt mit der Märzrevolution von 1848 zu tun haben. So wurde etwa am 3. September 1969 die neu geschaffene Straße zwischen dem heutigen Platz der Vereinten Nationen und der Karl-Liebknecht-Straße in Mollstraße umbenannt. Sie erinnert an Joseph Maximilian Moll (1813–1849), einen der Gründungsmitglieder des 1840 ins Leben gerufenen Deutschen Arbeiterbildungsvereins. Er fiel im Gefecht bei der Murg in Baden am 28. Juni 1849. 

In Wilmersdorf erinnern sieben Straßen daran, dass das preußische Interventionsheer unter Führung des „Kartätschen-Prinzen“, des späteren Kaisers Wilhelm I., die Demokratiebewegung in Baden und in der Pfalz 1849 niedergeschlagen hat. Straßennamen wie die Badensche Straße oder die Waghäuseler Straße benennen eher die Reaktion auf die Revolution. Sie tragen die Namen von Orten, in denen das badische Revolutionsheer durch die preußischen Truppen geschlagen wurde. 

Straßenschild Waghäuseler Straße in Berlin-Wilmersdorf, 2022. Foto: Jürgen Karwelat. 

Auch die Streckfußstraße in Berlin-Karow am 31. Mai 1951 kann als Erinnerung an 1848 gerechnet werden. Adolf Carl Streckfuß, „Erzdemokrat“ und „Volksschriftsteller“, wurde zunächst für sein Werk Die große französische Revolution und die Schreckensherrschaft zwar wegen Hochverrats angeklagt, fungierte aber nach seinem Freispruch ab 1862 als Stadtverordneter. 

Mit viel Wohlwollen wird man auch noch die Umbenennung des Schlieffenufers im Januar 1991 in „Bettina-von-Arnim-Ufer“ als Ehrung einer 1848erin ansehen können. Die 1889 neu angelegte Straße erhielt den Namen Richard-Wagner-Straße, bevor die Nationalsozialisten 1934 Alfred Graf von Schlieffen mit ihrer Umbenennung ehrten. So war die Umbenennung 1991 durch die Bezirksverordnetenversammlung Tiergarten eine bewusste Abkehr davon und eine Ehrung der Schriftstellerin Bettina von Arnim (1785–1859). Sie war im Berlin der 1840er Jahre eine bekannte Salonnière, bei deren gesellschaftlichen Empfängen künstlerische und politische Themen in liberaler Atmosphäre erörtert wurden. In ihren beiden „Königsbüchern“ von 1843 und 1852 wies sie auf das soziale Elend und die fehlende Meinungsfreiheit in Preußen hin.

Etwas eigenartig ist die Benennung der Pfuelstraße in Kreuzberg. Ernst von Pfuel (1779–1866) war ein preußischer General, der ab 1847 Gouverneur von Berlin und 1848 preußischer Ministerpräsident und Kriegsminister war. Weil er mit der Demokratiebewegung sympathisierte und nicht bereit war, die Demokraten mit militärischer Gewalt niederzuschlagen, wurde er am 2. November 1848 vom preußischen König abgesetzt. Die Straße trägt ihren Namen seit dem 4. April 1885. Wahrscheinlich, weil Pfuel 1817 eine Militärschwimmanstalt gründete, in der den preußischen Rekruten das Schwimmen beigebracht wurde. Die Schwimmanstalt befand sich in der Spree in unmittelbarer Nähe der heutigen Pfuelstraße.

Glücklich soll sich schätzen, wer nicht nur Revolutionär, sondern auch Schriftsteller ist. In Berlin gibt es zwei Herwegh- und eine Emma-Herwegh-Straße. Die Herweghstraßen in Hellersdorf und Treptow sind Benennungen aus der DDR-Zeit, um an den Dichter und Revolutionär Georg Herwegh (1817–1875) zu erinnern, der sich im April 1848 am radikal-demokratischen Aufstand in Baden beteiligte. Nachdem in der Nähe des Berliner Hauptbahnhofs ein neues Stadtviertel mit ausschließlich nach Frauen benannten Straßen entstand, folgte 2005 die Bezirksverordnetenversammlung Mitte mit der Benennung einer dieser Straßen mit Georg Herweghs Ehefrau Emma Herwegh (1817–1904). Die Tochter eines Berliner Seidenhändlers und Hoflieferanten beteiligte sich ebenfalls an der Revolution 1848/49. Sie war, wie ihr Mann, Mitglied in der Pariser Deutschen Legion, die auf der republikanischen Seite in Baden eingreifen wollte.

FAZIT 

Im Verhältnis zu preußischen Generälen, zu Schlachtfeldern und zu Monarchen, die 1848 auf der anderen Seite der Barrikade gestanden haben, erinnert nur eine sehr kleine Zahl von Straßen an die demokratische Bewegung des Jahres 1848. Bereits 1998 wies der Historiker Rüdiger Hachtmann darauf hin, dass es zwar eine Straße mit dem Namen des General Wrangel gebe, der am 10. November 1848 mit 12.000 Soldaten einmarschierte und das preußische Parlament aus Berlin vertrieb, doch für zahlreiche andere Personen, die sich damals um die Demokratie verdient gemacht haben, scheint kein Platz auf Berliner Straßenschildern zu sein. 

LITERATUR

Hachtmann, Rüdiger: Berlin 1848, Bonn 1997.

Hachtmann, Rüdiger: 1848. Revolution in Berlin, Berlin 2022.

Mende, Hans-Jürgen (Hrsg.): Lexikon – Alle Berliner Straßen und Plätze – Von der Gründung bis zur Gegenwart, Berlin 1998.

Pöppinghege, Rainer: Wege des Erinnerns, Münster 2007.

Platz des 18. März, in: Wikipedia, URL: https://de.wikipedia.org /wiki/Platz_des_18._März, [eingesehen am 04.11.2024].

Karwelat, Jürgen: Der Bezirk Mitte lässt den Platz der Märzrevolution verschwinden, in: Aufruf, Jg. 27 (März 2024), S. 9, URL: https://www.maerzrevolution.de/ images/zeitungen/MrzZtg_2024_Web.pdf, [eingesehen am 04.11.2024]. 

 

Kommentar hinzufügen

CAPTCHA
Diese Frage dient der Spam-Vermeidung.
Image CAPTCHA
Enter the characters shown in the image.